Vertrauen als spirituell basierte Ressource für das Gelingen gesellschaftlicher und religiöser bzw. kirchlicher Commoning-Prozesse

Voraussetzungen – Strukturen – Praktiken

Herausforderungen │ Westliche Gesellschaften scheinen in der Spätmoderne vielerorts ihren Zusammenhalt zu verlieren. Kulturpolitische Gereiztheiten und sozioökonomische Verwerfungen, kriegerische Konflikte und ideologische Blasenbildungen, Stadt-Land-Konkurrenzen und religiös motivierte Abkapselungen zeugen von diesen Entwicklungen. Und auch in den Kirchen finden sich solche Gegensätze wieder: zwischen Reformerinnen und Traditionalisten, zwischen säkularen Anhängern und frommen Mitgliedern, zwischen pluralistisch eingestellten Esoterikerinnen und unerbittlichen Dogmatikern.

Vor diesem Hintergrund fragt das Forschungsprojekt nach Vergemeinschaftungsprozessen (Commoning), die ein neues dialogisches Miteinander möglich machen können.

Ressourcen │ Grundsätzlich werden Ressourcen hier als das Kapital verstanden, das ein Mensch einbringt und nutzt, um prinzipiell sein Überleben zu sichern und seine Ziele zu verfolgen. Neben Einkommen, Bildung und sozialen Netzwerken spielen auch die Ressourcen der Psyche, der Gesundheit und des eigenen Zeitbudgets eine zentrale Rolle. Das Forschungsprojekt befragt diese Ressourcen auf ihre individuen-übergreifende Bedeutung im Blick auf Lebensführung und Existenzsicherung sowie den gegenseitigen Austausch in einem größeren Gemeinwesen. Spirituelle Ressourcen, so eine Arbeitshypothese, helfen offene Innovations- und Wagniskulturen auf den zentralen Feldern Wohnen und Mobilität, Kunst und Soziales, Wissenschaft und Bildung, Werte und Sinn zu etablieren und wirksam zu machen. Verstärkt gilt dies für den dezidiert religiösen Bereich.

Vertrauen │ Der Fokus der Untersuchung liegt auf spirituell basierten Vertrauensressourcen, die es benötigt, um Menschen  zueinander zu bringen und miteinander über rein zweckrationale Interessen hinaus dauerhaft oder auf begrenzte Zeit verbinden zu können. Zugleich geht es Commoning-Prozessen darum, Vertrauen zu schaffen, insofern Vertrauen geteilte Intentionen und gemeinsame Interessen erzeugen kann. Dies gilt zum einen in der horizontalen Verbindung zur sozialen Mitwelt und zur Natur, zum anderen in der vertikal ausgerichteten Vorstellung geteilter Werte oder einer den Menschen übersteigenden, alles umgreifenden, letztgültigen Transzendenz (Heiligen), was außerhalb menschlicher Machbarkeit liegt.

Spiritualität │ Im Rahmen des Forschungsprojekt wird Spiritualität als die fortwährende Umformung (transformatio) eines Menschen in seinen vielfältigen Beziehungsgefügen verstanden. Diese Umformung verwirklicht sich in engagierten und verantworteten Beziehungen zur Welt, zum Mitmenschen und zu sich selbst. Die so verstandene Spiritualität ist transreligiös und kulturproduktiv. Sie drückt dabei nicht nur den Vorgang individueller Arbeit am eigenen Selbst aus, sondern zielt auf eine bestehende oder entfaltbare Grundhaltung, die den Umgang mit dem Anderen nachhaltig beeinflusst und auf diesen ausgerichtet ist. Der Ort des Spirituellen ist im Raum des Öffentlichen (des „Mundanen“), d. h. in der Sphäre des sozialen Umgangs miteinander zu finden.

Kirche und Orden │ Speziell Orden und Geistliche Gemeinschaften können auf zum Teil Jahrhunderte alte Traditionsbestände spirituell gegründeter Sozialbezüge zurückblicken. Diese spiritualitätstheologisch relevanten Überlieferungen werden in die Untersuchungen eingebracht. Die theologische Ritualforschung fragt nach dem notwenigen Invest, der persönlich oder gesellschaftlich eingebracht werden muss, um Teil einer Gemeinschaft samt ihres symbolisches Kapitals zu werden. Spiritualitätstheologisch ist beispielsweise hinsichtlich agiler Arbeitsprozesse danach zu fragen, wie Vertrauen gemanagt werden kann. Commoning-Prozesse im Feld der Gemeinde- und Zielgruppenseelsorge oder des Spiritual Care in Krankenhäusern und Hospizen sind in pastoraltheologischer Hinsicht zu untersuchen. Gleichwohl sind es gerade kirchliche Mitarbeiter, die durch sexuellen und geistlichen Machtmissbrauch Vertrauen von Abhängigen massiv missbraucht und diesen Missbrauch vertuscht haben. Die konfessionsgebundene theologische Reflexion auf die Ressource Vertrauen bedarf deshalb durchgängig einer selbstkritischen Hermeneutik.

Kultur │ Versuchsweise arbeitet das Forschungsprojekt in seiner ersten Phase mit dem holistischen Kulturbegriff des Kultur- und Kommunikationswissenschaftlers Jürgen Bolten (1955–2023):  „[D]ie unterschiedlichen Bedeutungsvarianten des Kulturbegriffs (‚cultura Dei‘, ‚cultura [corporis et] animi‘, ‚colonus‘, ‚agricultura‘) [werden] nicht gegeneinander abgegrenzt oder ausgespielt, sondern – unter Einschluss der ‚Reziprozität der Perspektive‘ – in ihren gegenseitigen Verweisungszusammenhängen verstanden […]. So schließt beispielsweise ein erweiterter, auf soziale Lebenswelten bezogener Kulturbegriff einen auf Kunst oder ‚Geisteskultur‘ bezogenen engen Kulturbegriff keineswegs aus – ebenso wenig, wie dieser nicht zwangsläufig die Wirkmächtigkeit einer ‚Cultura Dei‘ infragestellt.“ Speziell einem transdisziplinären Forschungsangang kommt Boltens weit gefasster Kulturbegriff sehr entgegen. In ähnlicher Weise können auch die soziologischen Erkenntnisse Bruno Latours als Theorierahmen herangezogen werden.

Zentrale Forschungsfragen des Projekts sind:

  • Inwieweit tragen spirituelle und kulturelle Überzeugungen dazu bei, dass Menschen sich zu Gemeinschaften zusammenschließen und ihre kulturellen und materiellen Ressourcen einbringen?
  • Unterscheiden sich spirituell gegründete Gemeinschaften von anderweitig vertrauensbasierten Zusammenschlüssen – und falls ja, in welcher Weise?
  • Unter welchen Bedingungenkann die Ressource Vertrauen zum Entstehen eines Commoning  beitragen, wenn Vertrauen zugleich Voraussetzung als auch Ziel des Prozesses ist?

Literatur (Auswahl):

Bolten,  J., Einführung in die Interkulturelle Wirtschaftskommunikation, Göttingen 32018.

Engel, U. / Eggensperger, Th. / Dienberg, Th. (Hrsg.), Auf der Suche nach einem neuen „Wir“. Theologische Beiträge zu Gemeinschaft und Individualisierung, Münster 2016.

Enste, D. / Suling, L, Der IW-Vertrauensindex: Europäische Länder im Vergleich – Vertrauen in Wirtschaft, Staat, Gesellschaft 2020, in: IW-Policy Paper 5/2020 = https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/dominik-h-enste-lena-suling-deutsche-vertrauen-einander.html [03.07.2023].

Geyer, F. / Vogt, M., Vom Stachelschwein zum neuen „Wir“. Analysen im Spannungsfeld zwischen Individuum, Gesellschaft und Politik, in: Die politische Meinung 548 (218), 68–72.

Timetable der Projektphasen:

1. Vorbereitung der Antragstellung: 06/2023 – 12/2023

2. Projektphase A, 01/2024 – 06/2025: Grundlagenarbeit am Theorierahmen (Bolten, Latour), Exploration in diverse Felder (u.a. Agiles Arbeiten, Seelsorge, Spiritual Care, Ritualforschung, Sozialethik)

3. Evtl. Projektphase B: Umsetzung eines Commoning-Projekts in Berlin

4. Evaluation

Projektmitarbeiter am CTS Berlin:

Prof. Dr. Thomas Dienberg OFMCap, M.A. │ Theologie der Spiritualität

Prof. Dr. Thomas Eggensperger OP, M.A. │ Sozialethik (Koordination)

Prof. Dr. Ulrich Engel OP │ Philosophisch-theologische Grenzfragen

Projektpartner:

Prof. Dr. Katharina Karl │ Theol. Fakultät der Kath. Universität Eichstätt │ Pastoraltheologie

Prof. Dr. Stephan Winter, M.A. │ Kath. Theol. Fakultät der Universität Tübingen │ Liturgiewissenschaft

Kontakt:

CTS Berlin

Prof. Dr. Thomas Eggensperger OP, M.A.

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